Andreas Jackstien – Durchdacht und deutungsreich


 In einer ruhigen mit Kopfsteinpflaster belegten Straße in der Mindener Innenstadt befindet sich das Atelier von Andreas Jackstien. Direkt unter dem Dach eines Altbaus, einige Stockwerke über seiner Wohnung, ist dieser Ort Dreh- und Angelpunkt seines künstlerischen Schaffens. Doch nicht nur seine Malereien und Druckgraphiken entstehen dort, ebenso sind die Räumlichkeiten ein regelmäßiger Treffpunkt für einen kreativen Austausch mit seinen (menschlichen und tierischen) Freund:innen. Zu seiner letzten Ausstellung im Oktober diesen Jahres, zusammen mit Alexander Gierlings, Alayah Meyer Nordhorn und Sebastian Rehling, lud er alle Interessierten in sein Atelier ein, das, wenn es nicht gerade für die Öffentlichkeit hergerichtet ist, viele alltägliche Gegenstände und Fundstücke beherbergt. Aus der Beobachtung und dem Studium dieser Objekte, hinsichtlich der Perspektive, Kontraste und weiteren gestalterischen Grundlagen, entstehen in Verbindung mit bildnerischen Erfindungen, zahlreiche Zeichnungen und Malereien. Unter anderem die Serien „Räume bei Künstlern“ und „para dies“ (2018).

Andreas Jackstien: ZUOrtung, Mischtechnik auf Papier, 70 x 50 cm, 2021

Andreas Jackstien: MalEnde, Mischtechnik auf Papier, 100 x 70 cm, 2018


In seinen Kompositionen werden menschliche Eigenschaften und Befindlichkeiten auf Dinge und Figuren übertragen und kritisch hinterfragt. Die Reflexion des eigenen Seins und dem Umgang mit der Umwelt eines Jeden, stellen wichtige Inhalte des Künstlers dar.

Ein seit 2018 wiederkehrendes Motiv in Jackstiens Werken knüpft genau daran an, das sogenannte „Hasickel“. Dem geht eine persönliche Anekdote voraus: Da das Haustier der Tochter beim Auszug aus dem Elternhaus nicht mitkommen konnte, ging es in die Obhut des Vaters über. Seitdem steht das Kaninchen dem Künstler nicht nur Modell, sondern hat auch einen eigenen Arbeitsplatz in dessen Atelier. Der Begriff „Hasickel“ ist eine Wortneuschöpfung Jackstiens, die sich auf die Dadaisten bezieht, die ihrerzeit die konventionelle Kunst und gesellschaftlichen Werte und Ideale ablehnten. An dieser Ideologie angelehnt und auf die heutige Zeit übertragen, steht das „Hasickel“ für die Kritik an der menschlichen Überheblichkeit und Machtgier, die sich durch ihr Überlegenheitsgefühl gegenüber der Tier-, Pflanzen- und allgemeiner Umwelt auszeichnet. Derartige Bezüge auf die Literatur- und Kunstgeschichte lassen sich immer wieder in Andreas Jackstiens Arbeiten entdecken. Mit den Titeln seiner Werke trägt er ebenso offensiv zu ihrem Deutungsreichtum bei. So verweist beispielsweise der Name „Hasickels Seinsuchsinn“ auf die Aufgabe jeder Person, sich zu positionieren, reflektieren und in kritischer Denkweise mit der Gesellschaft auseinander zu setzen.

Andreas Jackstien: In Gedenken an Änni, Ölkreide und Farbstift auf Papier, 100 x 70 cm, 2021

Andreas Jackstien: In Gedenken an Anni II, Mischtechnik auf Papier, 70 x 50 cm, 2021

Andreas Jackstien: NEIDCall, Mischtechnik auf Papier, 70 x 50 cm, 2021



Der aktuelle malerische Stil von Jackstien, der gerne und oft in Serien arbeitet, lässt sich am besten als Zusammenführung von Malerei und Zeichnung beschreiben. Dabei ist er nicht wählerisch und nutzt verschiedene Farb- und Zeichentechniken. Seine Malweise beruht auf sein künstlerisches Streben das eigentliche Wesen der Dinge zu erfassen. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass die Grenzen zwischen dem menschlichen Sein und dem Sein der Dinge und anderen Geschöpfen verschwimmen, und nichts in einem stetigen Zustand bleibt, sondern sich alles permanent verändert und einzigartig im Verhalten und in seiner Form ist. Dadurch ergibt sich die Schwierigkeit und der Anspruch seiner Arbeit, dem Wahrhaftigen möglichst nah zu kommen. Durch die Vermischung mehrerer Techniken öffnet er Grenzen und erweitert den Raum dafür, Dinge und Geschöpfe in ihrem einzigartigen Verhalten und Form festhalten zu können. Eine weitere Analogie zwischen Inhalt und Technik ist, dass er Papier als Mal- und Zeichengrundlage wählt, das labil und leicht zerstörbar ist. So vermittelt die Materialität von sich aus schon den Ausdruck von den existenziellen Eigenschaften der Verwundbarkeit und Instabilität des Ist-Zustands.

Andreas Jackstien: BrückenGrabenLockdaun, Mischtechnik auf Papier, 70 x 50 cm, 2021

Andreas Jackstien: NIEderGang IV, Mischtechnik auf Papier, 100 x 70 cm, 2021

Andreas Jackstien: ÜberBewusstSEIN, Mischtechnik auf Papier, 100 x 70 cm, 2021